Bücher öffnen Welten, heißt es, und in der Welt der Bücher lebte Jürgen Wohlers.
Obwohl eigentlich ein sehr zurückhaltender, zurückgenommener Mensch, konnte er bei Büchern, die er der großen Literatur zuordnete, fast leidenschaftlich Autor:innen und ihr Werk beschreiben. Eine exklusive Auswahl, das war und ist das Markenzeichen seiner Buchhandlung in der Langen Reihe 38. Im Umkehrschluss sah man ihm aber auch deutlich an, wenn nach Literatur gefragt wurde, die er für nicht gelungen hielt. Viele, viele Gespräche haben wir über die Jahrzehnte miteinander geführt, über Neuerscheinungen, ein ausfindig gemachtes Werk, aber auch über den Stadtteil und die neuesten Verwicklungen, in den letzten Jahren auch über Gesundheitsprobleme und das Älterwerden. Nicht für alle war es gemütlich, wenn er sich dabei – damals – noch eine Zigarette im Laden ansteckte. Und stoisch konnte er sein, nur ganz ausnahmsweise konnten wir ihn für einen Büchertisch oder eine Veranstaltung gewinnen, ein liebenswerter, bisweilen verschmitzt dreinblickender Brummbär, so wird er uns in Erinnerung bleiben. Klein und ausgesucht, das ist die Buchhandlung erst seit Anfang 2013. Zuvor hatte er bereits viele Jahre die deutlich größere Buchhandlung in der Langen Reihe 68/70 betrieben, ein über drei Generationen von der Familie geführtes Geschäft. 1932 war es von seinem Großvater, dem ehemaligen Mecklenburger SPD-Landtagsabgeordneten Dr. Robert Wohlers eröffnet, von dessen Kindern Ursula und Dankwart Wohlers 1948 weitergeführt und schließlich von Jürgen übernommen worden. Seit seiner 1970 aufgenommenen Lehre stand er in diesem Buchladen, 55 Jahre engster Verbundenheit mit der Literatur und dem Stadtteil St. Georg, aus dem er nie weg wollte. Rund 850 Bürger:innen unseres Stadtteils haben es ihm im Juni 2012 mit einer großen Solidaritätsdemonstration gedankt, als ein Immobilienhai ihn aus dem Ladengeschäft faktisch rauswerfen wollte. Jürgens Herz hing insbesondere auch an dem großen Antiquariatsbereich, über den der Laden ehemals verfügte. Es hat ihn sehr getroffen, diesen Bereich nach der Verdreifachung der Ladenmiete in der Langen Reihe 68/70 und dem dadurch notwendig gewordenen Umzug in die Lange Reihe 38 zuerst nur noch online führen zu können und dann ganz aufgeben zu müssen. Nicht nur Jürgen, allen ücherfreund:innen schmerzte das Herz, diese zum Teil echten Kleinode zu verlieren. Immerhin, wir konnten ihm nach dem mit rund 100 St. Georger:innen geschulterten Umzug Ende 2012 vor zwei Jahren noch einen Verkauf seiner übrig gebliebenen antiquarischen Bestände organisieren und den Rest einem gemeinnützigen Zweck zuführen. Jürgen hat Bücher und die Welt der Bücher geliebt und dem Laden galt sein letzter Gang. Wir vermissen ihn sehr und wünschen uns, dass der Buchladen auch als eine Art Vermächtnis seiner Arbeit erhalten bleiben kann.
Bene Schmidt-Joho und Michael Joho